Völlig fassungslos hingen wir über der Reling des Bootes und starrten ins Wasser. Nicht weniger fasziniert waren die Tiere uns gegenüber. Mit grossen Augen (wir suchten lange, bis wir die gefunden haben) starrten uns die unglaublichen Lebewesen an und schwammen von Person zu Person. Keiner wurde ausgelassen. Dieser Moment ist in Worten kaum zu beschreiben. Der hier so genannte “Ballena Franca Austral” (zu Deutsch: Südkaper) ist ungefährt so gross wie eineinhalb Reisebusse, welche wir auf der Ruta 3 andauernd überholten und etwa so schwer wie sieben Elefanten. Das heisst 16m lang und rund 50 Tonnen schwer. Der Franca Austral ist ein Bartenwal, d.h. er ernährt sich trotz seiner unglaublichen Grösse nur von Plankton und Krill. Er hat anstelle von Zähnen eine Art Barthaare im Mund (keine Ahnung, wie man das sonst noch nennen könnte). Dazu öffnet er sein Maul (und das ist echt riesig) und filtert den Krill mit diesen Barthaaren. Weltweit gibt es nur noch 3000 Exemplare und hier ist er zum Glück streng geschützt. Jedes Jahr kommen rund 1000 Tiere in die Buchten vor der Halbinsel Valdez. Ein unglaublicher Moment, so einem Tier auf einen Meter Distanz in die Augen zu schauen. Das war definitiv die schönste Begegnung und der faszinierendste Tag unserer Reise.
Aber erst mal wieder der Reihe nach:
In Ushuaia stellten wir fest, dass wir dort näher bei Australien sind, als bei Buenos Aires. Das konnten wir kaum glauben, doch es war tatsächlich so.
Wir fuhren dann auf der Ruta 3 in Richtung Norden. Wieder wurden wir per Fähre von Feuerland nach Südpatagonien verschifft. In Rio Gallegos legten wir einen Zwischenstop ein und nach erfolgloser Campingplatzsuche nahmen wir dann ein Hostal. Im windigen Patagonien gibt es fast keine Zeltplätze mehr…
Am nächsten Tag fuhren wir weiter nach Comodoro Rivadavia, bzw. wir fanden schon 16km vorher in Rada Tilly einen hübschen Zeltplatz am Meer. In Rada Tilly gibt es den südlichsten, voll ausgebauten Badestrand der Welt. Ein netter und gemütlicher Ort. Nachts allerdings fand Milena den Ort mehr unheimlich, als gemütlich. Kein wunder, denn als Milena einem ihrer kommaartigen Tiefschlafen verfallen war, bekam plötzlich unmittelbar neben ihrem Kopf vor dem Zelt ein Seelöwenbaby einen Hustenanfall, bzw. schrie nach seiner Mutter. So tönte es zumindest und da wir unterwegs mehrere überfahrene Seelöwen am Strassenrand sahen, ist das offenbar auch gar nicht so weit her geholt. Nach geschaut haben wir nicht, aber nach einem lauten “Gscht!” watschelte das Ungetüm dann schnell davon. Milena’s Herz jedenfalls hörte für mindestens 5 Sekunden auf zu schlagen und danach raste es umso schneller. Wenige Stunden später dasselbe Spiel mit einem schreiende Vogel. Gut geschlafen haben wir also nicht unbedingt…
Von Rada Tilly fuhren wir auf dem direkten Weg auf die Halbinsel Valdez. Diese Halbinsel ist wegen ihrer Tiervielfalt, insbesondere wegen der einzigen Kolonie an Seeelefanten in ganz Südamerika weltbekannt. Und dann sind eben noch die Wale. Nebst dem Franca Austral ist auch noch die Art der Zahnwale durch den Orca vertreten. Der aus “Free Willy” bekannte schwarz weisse Wal mag allerdings das offene Meer lieber und meidet die Bucht. Er ist in Punta Norte zu beobachten. Mit “nur” 10m länge und rund 10 Tonnen Gewicht ist er deutlich kleiner als der Franca Austral.
In dem einzigen Dorf auf der Insel, in Puerto Piràmide, schlugen wir unser Zelt auf. Am nächsten Morgen fuhren wir als erstes nach Punta Norte. Obwohl uns der Mann beim Parkeingang die umgekehrte Route vorgeschlagen hatte, fuhren wir sie umgekehrt. Zum guten Glück, denn in Punta Norte waren wir ganz alleine und sahen Wale weit draussen im Meer springen und jagen. Da auf unserer Karte hier keine Austral Franca, sondern Orcas eingezeichnet waren, gingen wir auch davon aus Orcas zu sehen. Einer der Tiere liess sich gediegen auf dem Rücken im Wasser treiben und streckte seinen schwarz weissen Bauch und die Flossen in die Sonne. Wir versuchten verzweifelt, ein paar Fotos zu schiessen. Leider aber waren sie trotz gutem Teleobjektiv etwas zu weit weg. Immer wenn ein junger Seeelefant ins Wasser sprang hofften wir etwas schadenfreudig, dass einer der Wale an Land springt und es fressen will. Orcas tun das nämlich. Unten am Strand hatte es eine grosse Kolonie von Seeelefanten, welche in der Regel seeehr faul herumlag. Es sei denn, einer der bis zu 7m langen und 3 Tonnen schweren Bulle nähert sich dem Harem eines ebenso grossen Bullens. Dann geht kurz die Post ab. Wollten sie aber von einem Ort zum Anderen, dauerte das ewig. Sie robbten dreimal und schliefen dann wieder erschöpft ein. Kein wunder bei dem Gewicht! Die Bullen der Seeelefanten haben auch einen eigenartigen Rüssel und die wesentlich kleineren Weibchen sehen verwechselnd ähnlich aus wie die Seelöwen.
Bevor wir weiter zur Punta Caleta fuhren, kauften wir uns noch etwas zu trinken in der Cafeteria und dort an der Wand sahen wir dann Bilder von Orcas, welche an den Strand sprangen um die Seelöwen zu jagen. Diese Bilder liessen uns dann nicht mehr in Ruhe und als wir merkten, dass im 47km entfernten Punta Caleta nicht soviel los war, fuhren wir nochmals zurück nach Punta Norte. Unterwegs sahen wir noch ein paar sehr süsse Magellan-Pinguine am nisten. Diese kommen hier in Patagonien an der Atlantik- sowie an der Pazifikküste vor und sind wirklich sehr putzig!
Auch dieses weniger putzige, aber dennoch hübsche Tier lief uns noch über den Weg. Die grösste Spinne Patagoniens:
In Punta Norte war allerdings in der Zwischenzeit Ebbe und kein Wal mehr weit und breit. So standen wir enttäuscht da und starrten in das noch viel weiter entfernte Meer hinaus. Wenigstens waren noch einige Seeelefanten da, welche wir etwas beobachten konnten. Plötzlich kam der Ranger auf uns zu und meinte: “Ihr wart heute Morgen hier, nicht? Habt ihr die Orcas gesehen?” Wir erzählten ihm dann von den springenden Orcas und von dem schwarz weissen Bauch, da meinte er: “Nein, das waren keine Orcas, das waren Wale.” Wir verstanden das nicht ganz und gingen zu ihm in die Station. Wir inspizierten die Fotos vom Morgen und der Ranger (Francisco) konnte genau sagen, was welcher Wal ist. Der Franca Austral war der, der sprang und auch der mit dem weissen Bauch war kein Orca. Der Franca hat nämlich auch einen schwarz weissen Bauch, allerdingt hat er keine spitzige Rückenflosse wie der Orca. Natürlich sieht man den unterschied als Laie aus dieser Distanz niemals, obwohl sich die beiden Arten von der Nähe aus betrachtet alles andere als ähnlich sind. Aber eine spitzige Rückenflosse haben wir trotzdem eindeutig gesehen und wir folgten den Walen auch ein Stück weit der Küste entlang. Francisco schaute sich die Fotos an. Tatsächlich haben wir unbewusst ein Bild von einem der Orcas gemacht. Wir zoomten die Flosse heran und Francisco konnte sogar den Wal identifizieren. “Das ist ziemlich sicher Yazmin!” Er zeigte uns dann Fotos von Yazmin mit ihrem Jungen. Wahnsinn, der Mann kennt alle Orcas hier. Von Francisco lernten wir dann einiges. Er zeigte uns ein Foto, wo einer der Orcas mit blutverschmiertem Mund gerade einen Seelöwen am Strand packt. Das Foto wurde offenbar letzten Februar an diesem Strand aufgenommen. Im Februar ist anscheinend der Wasserspiegel höher und dann kommen sie an Land. Wir meldeten uns dann schon einmal für den Februar 2014 an. Dann nehmen wir zwei Wochen Urlaub und sitzen dort an den Strand und warten! Francisco jedenfalls freut sich schon dass wir wieder kommen und wird uns vom nächsten Februar die Fotos dann per E-Mail schicken.
Wieder zurück in Puerto Piràmide buchten wir dann etwas total untypisches für uns: Whale Watching. Eigentlich wollten wir das nicht machen, aber nach diesem Tag mussten wir das einfach sehen. So standen wir am nächsten Morgen um 10:00 vor dem Büro und fassten unsere Schwimmwesten. Das Schiff stand an Land und dort stiegen wir dann auch ein. Ein Gefährt schob uns dann mit langen Eisenstangen ins Meer hinaus. Das sah echt lustig aus…
Das Whale Watching war überhaupt nicht so, wie wir dachten. Wir hofften, dass der Kapitän nicht irgendwelche Verfolgungsjagten auf die Tiere macht und denen wie blöd hinterher rattert. Stattdessen näherten wir uns den springenden Walen auf gut 30m und der Kapitän stellte den Motor ab. Daraufhin kamen die Wale dann zum Boot und das nicht gerade schüchtern. Bis auf einen Meter kamen sie heran und sie fanden sichtlich gefallen daran, uns nass zu spritzen. Man konnte sie fast schon grinsen sehen, wenn unsere Kameras mal wieder nass wurden. Wir überlegten uns schon ernsthaft ob wir hier “Whale Watching” machen, oder ob die Wale “People Watching” machen. Für sie war es jedenfalls nicht weniger spannend als für uns. Der Franca Austral ist sehr bekannt für seine unglaublich schöne Schwanzflosse und offensichtlich weiss er das auch. Geradewegs vor dem Boot streckte einer seine Flosse aus dem Meer und hielt sie gut 5 Sekunden oben. Dabei drehte er sie noch, damit man sie auch ja von allen Seiten bewundern konnte. Fast schon etwas eingebildet die Wale hier… Auch eine Mutter mit ihrem gut 3 Monate alten Jungtier bekamen wir zu Gesicht. Aussergewöhnlich, denn eigentlich paaren sie sich erst jetzt.
Wir jedenfalls haben definitiv nicht mit einer so nahen Bekanntschaft gerechnet und konnten uns kaum noch erholen. Dauernd mussten wir alle Fotos und Videos immer und immer wieder anschauen. Ein wahnsinniges Erlebnis! Und weil es so schön war, und wir uns kaum gegen ein Foto für diesen Blogeintrag entscheiden konnten, hier noch mehr:
Mutter mit Jungtier