Nach einem erholsamen Pausentag mit leckerem Essen erkundigten wir uns in Nasca nach einem Flug über die berühmten Geoglyphen in der Wüste vor der Stadt. Unter 120 US-Dollar pro Person war jedoch nichts zu kriegen, was uns dann doch ein bisschen zu viel war. Milena flog bereits einmal bei einer ihrer früheren Südamerikareisen über die Linien und fand den Flug selber viel spektakulärer als das was am Boden zu sehen war. Also verzichteten wir darauf und machten uns an die Vorbereitungen für die Andenüberquerung(Westkordillere), die uns auf dem Weg nach Cusco bevorstand. Da dürfen wir nämlich von 580m auf 4300m hoch fahren. “Wo sind meine Langen Hosen?!” fragte Oli verzweifelt als er sein ganzes Gepäck auf den Kopf stellte und sie einfach nicht finden konnte. Nachdem Milena auch Ihre Taschen durchsucht hatte und sie nicht zum Vorschein kamen wurde klar, dass sie wahrscheinlich in Pisco liegengeblieben sind. Die nächste Mission hiess also lange Hosen für einen 1.93 Meter Mann zu finden, in einem Land in dem kaum ein Einwoner über 1.80m misst. Wir klapperten nun wirklich jeden Kleiderladen in Nasca ab, aber die Verkäufer musterten Oli jeweils nur von oben bis unten und schüttelten lächelnd den Kopf. Die langen Hosen wären ja nicht so wichtig, würden wir weiter der Küste entlang radeln, aber wir haben in den nächsten Tagen Pässe von über 4000m zu überwinden, auf denen es empfindlich kühl werden kann. Etwas frustriert kaufte Oli halt 2 Paar lange Wollsocken die bis zu den Knien reichen. Sieht zwar etwas doof aus, sollte aber seinen Zweck erfüllen.
Frischfröhlich fuhren wir am Samstag Morgen los in Richtung der monströsen Berge. Etliche Menschen riefen uns zu: “Tut das nicht! Da oben ist es kalt!!!” Ein älteres Paar hielt gar an, stieg aus dem Auto und fragte: “Wisst ihr was euch da oben erwartet? Da gibt es sogar manchmal Schnee!” Jaja, zum ersten mal wussten wir, auf was wir uns einlassen. Nur etwas Wichtiges haben wir völlig unterschätzt und zwar den Wasserverbrauch…
Eigentlich waren wir überzeugt, dass wir die 45km bis zum nächsten Minidorf mit Kiosk in einem Tag schaffen würden, doch die letzte Nacht setzte uns dann doch etwas mehr zu als erwartet. Eine nette Gruppe Party-Touristen sorgte nämlich dafür, dass wir die letzte Nacht in Nasca keine vier Stunden Schlaf bekamen. So suchten wir bereits nach 32km einen Platz zum zelten. Wir wussten, dass der Kiosk bei Km 45 kommt, doch unser super Reiseführer schrieb, dass dieser sich auf 2800m befindet (naja, immerhin verschätzten sie sich diesmal nur um 500 Höhenmeter. Das Dorf liegt nämlich auf 2300). Wir waren aber erst auf knapp 1900m und somit legten wir früher als geplant eine Übernachtung ein. Wir hatten jede Menge zu essen, aber der Wasservorrat reichte dummerweise nur für diesen einen Tag. Unser Wasserfilter konnten wir auch nicht gebrauchen, da alle Flüsse ausgetrocknet waren. Somit fiel der gute Nacht Tee schon mal aus und der Kaffee am nächsten Morgen gleich auch… Jedenfalls hatten wir einen wunderschönen Zeltplatz gefunden und genossen einen genialen Sonnenuntergang und Sternenhimmel.
Am nächsten Morgen fuhren wir dann weiterhin die steile Serpendienstrasse hoch und so langsam machten wir uns etwas Sorgen wegen dem Wasser. Genau in diesem Moment fuhren zwei mit Japaner vollbesetzten Jeeps jubelnd und fotografierend an uns vorbei. Weiter oben hielten sie an, um ein paar schöne Landschaftsfotos zu schiessen. Wir kamen unten um die Kurve und sie knipsten uns mehrmals ab. Japaner sind lustige Leute und sie haben es meistens sehr eilig. Kein Wunder, wenn man lediglich zwei oder drei Wochen Ferien im Jahr hat. Von daher war es ein Wunder, dass wir sie um die nächste Kurve gerade noch erwischten. “Tiene Agua?” Fragende Blicke… “Do you have water?” Noch fragendere Blicke. Das internationale Handzeichen half dann und sie rannten wild umher und redeten unverständliches Zeugs. Oli bekam eine Flasche Wasser und Milena sogar eine Coca-Cola. Als Gegenleistung hielten wir dann für ein Fotoshooting hin. Erst mit der Tochter, dann mit dem Sohn und zum Schluss mit allen zusammen. Dann rannten sie ins Auto und liessen sogar erst noch den Kofferraum offen. Einer stieg aus, knallte ihn zu und sprang ins Auto zurück. Und Tschüss, schon waren wir wieder alleine… Wir setzten uns hin, tranken unser Wasser und Cola, schauten die wunderschöne Landschaft an und erst dann lachten wir uns fast kaputt!
Das “Dorf” nennt sich stolz Huallhua und besteht aus rund 6 Häusern. Darunter ein kleiner Laden, der Wasser und Gaseosas (kohlensäurehaltiges Süssgetränk; wie kompliziert ist das denn?) verkauft. Wir stürmten den Laden regelrecht und kauften gleich alles an Wasser ein, welches im Regal stand. Rund 12 Liter, sowie 2,5 Liter Inka-Cola und zwei Gatorade Flaschen. Der hatte ja Freude an uns. Wir lernten dann noch einen Lastwagenfahrer kennen, welcher von Lima nach Cusco fährt und auch er braucht wegen der Pässe mehrere Tage bis nach Cusco. So ein vollbeladener Lkw quält sich manchmal nicht viel schneller als wir mit unseren Fahrrädern den Berg hoch. Auch wenn der Reiz gross ist, angehängt haben wir bis jetzt noch nie. Der Mann jedenfalls hatte eine Panne und wartete auf den Pannendienst. Einen TCS gibt es hier wohl auch!
Bei km 60 auf 3200müM zelteten wir noch einmal. Eigentlich war es fast unmöglich hier zu zelten und doch fanden wir ein ebenes Plätzchen. Es ging halt einfach etwas steil einen Hang hinunter, aber es war möglich. Nur konnte man uns von der Strasse aus sehen, doch ehrlich gesagt hatten wir überhaupt keine Bedenken. Grosse Steine hatte es allerdings und diese wollten wir erst wegräumen. Schon unter dem ersten Stein entdeckte Milena einen Skorpion. Da war natürlich erst einmal Panik angesagt und das unheimliche Tierchen wurde weit weg gebracht. Schlangen, Spinnen, alles ist egal, aber diese verflixten Skorpione…! Sind die nun giftig oder nicht? Jedenfalls blieb es bei dem einen Fund und wir stellten entspannt unser Zelt auf. Der Sternenhimmel war noch viel schöner als in der Nacht davor. Gleich unter der hellen Milchstrasse stand unser Zelt und wir mochten fast nicht schlafen gehen.
Am nächsten Tag radelten wir durch eine hübsche, langsam grüner werdende Landschaft. Nicht selten dachten wir, wir seien in den schweizer Bergen. Die letzten zwei Tage hatten wir immer so Lust auf Orangen, da auf der Strasse so viele Orangenschalen lagen. Da hielt ein Pick-Up neben uns und ein Mann streckte uns zwei Orangen entgegen. Wow, geil! Die wurden gleich an Ort und Stelle verdrückt. Je weiter hoch wir fuhren, desto lebendiger und grüner wurde es. Riesige adlerartige Vögel flogen umher, wilde Degus (die sind hier wesentlich grösser als bei uns), die eher wie Häschen mit Riesenschwänzen aussehen hüpften auf den Steinen herum und plötzlich ertönte ein schrilles wiehern! “Wat’n dat?” Grosse beige Wollknäuel galoppierten in Herden vor uns davon und erst bei genauerem hinsehen erkannten wir hunderte von Vicuñas. Die sind ja gut getarnt in dieser gelb-braunen Pampa! Diese Lama-ähnlichen Tiere sind stark vom Aussterben bedroht und sind extrem selten zu sehen. Hier nicht, denn wir sind im Nationalreservat “Pampa Galeras” angekommen, welches eine Aufzucht- sowie eine Forschungsstation für Vicuñas und Guanacos (etwas grössere Art) betreibt. Hier sind sie geschützt und streifen zu Tausenden in freier Wildbahn umher. Vicuñas sind vor allem wegen ihrer Wolle beliebt, welche noch feiner als Baby-Alpaka sein soll. Ein Schal aus Vicuñawolle ist allerdings fast unbezahlbar und fällt für uns wohl als Souvenir weg…Alle 10m hielten wir an, um diese hübschen Tiere zu beobachten. Ihre Laute sind sehr eigenartig. Einige wiehern ähnlich wie Pferde und wenn sie andere warnen (zum Beispiel weil zwei Radfahrer kommen) schreien sie wie ein Meerschwein. Wir filmten und fotografierten wie blöd und kamen kaum noch vorwärts. Der Lastwagenfahrer von gestern hielt dann neben uns und meinte: “Los, ladet eure Räder hinten rein, ich bringe euch nach Puquio!” Wir lehnten Angesichts der vielen Tierchen und der wunderschönen Landschaft dankend ab. Niemals wären wir eingestiegen! Dieser Pass ist mit 100km zwar lang und auch hart, aber gleichzeitig auch wohl die schönste Strecke der letzten sieben Monate!
Diese ewigen Strassenblockaden…!
“Huch”, Radfahrer…………………………………….schnell weg…!
Als wir dann bei der Station auf über 4000m ankamen, klopften wir dort an und wurden gegen eine freiwillige Spende für den Park zum übernachten eingeladen. Für die zwei Nachtwächter waren wir wohl eine willkommene Abwechslung, denn hier oben läuft gar nichts. Wir kochten Tee und luden die Beiden ein. So erfuhren wir mehr über den tollen Nationalpark. Offenbar gehören dem nämlich rund 5800 Vicuñas und der Park erstreckt sich über 6500 Hektaren bis fast nach Puquio aus. Eine super Sache dieser Park! Dass dieser von den Touristen nicht rege besucht wird? Die Busse rasen hier einfach vorbei…
Die Nacht wurde ziemlich kalt. Um Mitternacht sollte das Thermometer auf unter -4° fallen. Kaum war die Sonne weg, wurde es schlagartig kalt. Wir kochten uns noch schnell Spaghetti und verkrochen uns dann in unsere Schlafsäcke. Die Ruhe hier oben ist wunderbar! Die Peruaner sind nämlich grundsätzlich etwas laute Menschen und die Autos hupen meistens die ganze Nacht lang ununterbrochen. Wir genossen diese Abgeschiedenheit sehr!
Früh am Morgen verabschiedeten wir uns von den netten Männern und gaben ihnen eine kleine Spende. Keine zwei Kilometer weiter, also rund 8km vor dem Pass trafen wir auf einen ziemlich harten Reiseradler, welcher gerade sein Nachtlager abbaute. Ernesto aus Südafrika radelt seit viereinhalb Jahren um die ganze Welt! In kurzen Hosen und T’Shirt stand er da, während wir sogar beim bergauf fahren dicke Jacken anhatten. Unglaublich was man hier auf den Strassen mitten im Nirgendwo so alles antrifft. Ihm steht die wohl genialste Abfahrt seiner Reise bevor, denn er fuhr in Richtung Nasca. Die 100km, welche wir hinauf krochen, wird er wohl in gut 3-4h hinuntersausen. Wie geil, dachten wir uns! So verabschiedeten wir uns von Ernesto und nahmen die letzten 8km zum 4330m hohen Abra Condorcenca in Angriff. Wieder hielten wir dauernd an wegen der Vicuñas und der sowas von spektakulär schönen Landschaft. Wir flippten fast aus! Dass wir uns langsam der Passhöhe näherten, merkten wir anhand der Lastwagen- und Busfahrer. Sturmhupen und Daumen hoch deutet immer auf “fast geschafft” hin. Ein Auto vollbesetzt mit jungen Männern bescherte uns sogar einen tosenden Applaus. Milena tat wohl die Höhe nicht so gut, denn zuerst redete sie mit dem Berg (?!?), dann fuhr sie über den Pass, ein Jubelschrei und sie verschwand hinter dem Berg… Das obligatorische Passfoto gibt es deshalb nicht, denn Milena war schon 200m weiter unten…! Aber wir stellten fest, dass der Pass gar keine 4330m hoch ist…
Peru bescherte uns dann eine geniale Abfahrt. 30km durften wir runterflitzen bis auf 3100m. Die Landschaft sieht nun aus wie ein riesiges, kitschiges Gemälde…
Milena bekam plötzlich Probleme mit ihrem Fahrrad. Beim bremsen holperte das Hinterrad unaufhörlich und als wir auf der anderen Seite des Flusses wieder hoch fuhren, bremste sie irgendetwas. Erst dachten wir, dass die Hinterradbremse verklemmt ist, doch dann fanden wir den Übeltäter: Doppelter Felgenbruch!!! Wir konnten es kaum glauben, aber ihre Hinterradfelge hat es regelrecht verfetzt. Zwei Risse, davon einer gut 6cm lang und zu allem Übel lappte die eine Hälfte über die andere. Darum bremste es immer, wenn der Riss bei den Bremsklötzen vorbei kam. So demontierten wir die Bremsklötze und Milena fuhr nur mit der Vorderradbremse und einem total ratternden Fahrrad 20km weit nach Puquio. Wir passierten das erste grössere Dorf seit drei Tagen und wurden auch gleich überrannt. Schulkinder rannten uns hinterher (war nicht so schwierig, denn wir krochen wieder mit 5km/h den Berg hoch) und bombardierten uns mit Fragen: “Redet ihr Englisch?” “Woher kommt ihr?” “Wo ist denn das?!?” “Europa???” Auf 3500müM ist es eine ziemliche Herausforderung einen Berg hoch zu pumpen und dabei noch so viele Fragen beantworten. Die Kleinen schnauften aber nicht weniger als wir…
Milena’s Fahrrad tönte immer übler und mittlerweile streifte der Riss auch am Schutzblech. Dass es nicht auch noch einen Platten gab, grenzte an ein Wunder. Der Pneu war an der Rissstelle aufgebläht und es ratterte ununterbrochen, als wir in Puquio einfuhren. Als wir den Reifen am nächsten Tag wegnahmen, traf uns fast der Schlag. Wie in aller Welt konnte das passieren?!?
Wir fanden dann einen Fahrradmechaniker, der die Felge für CHF 10.- innert eineinhalb Stunden wechselte und das Rad neu einspeichte. Als wir das neue Rad abholen wollten, meinte der Mechaniker: “Tenemos un problema…”! Als wir das Ding sahen, kriegten wir fast einen Lachkrampf. Die alte Felge hatte 32 Löcher für die Speichen, die Neue aber dummerweise 36. Der Witzbold hat dann einfach vier Speichen weggelassen und einige sind ganz schön krumm. Naja, das ist halt eine richtige südamerikanische Lösung eines “Problems”, welches für die Peruaner wohl gar keines ist. Der Mann hat sich aber sehr Mühe gegeben und erstaunlicherweise hat es nicht mal eine Acht…! Dafür eiert es nun ein bisschen. Offenbar ist es hier in Peru nicht so einfach, eine 32-Loch Felge zu bekommen. Wir werden nun diese Notlösung ausprobieren und in Abancay oder Cusco weiter suchen. Ehrlich gesagt haben wir keine Ahnung, ob wir so lange fahren können oder nicht. Wir werden sehen…