15.11.2011

Jacupiranga-Itariri-Peruibe-Santos-Bertioga

 

Die letzten 100km auf der Autobahn BR-116 gingen dank Rückenwind schnell vorüber. Hier sind die Autobahnen grundsätzlich für alle da. So trifft man Fussgänger, Pferdekutschen und eben auch Radfahrer auf dem Pannenstreifen. Fussgänger hat es sehr viele sogenannten Landstreicher, welche mit ihrem Hab und Gut, also einem kleinen Rucksack von Ort zu Ort wandern. Vermutlich suchen sie Arbeit in den Grossstädten. Auf dieser Autobahn trifft man sehr viele dieser Menschen, denn sie führt geradewegs in die grösste Stadt Brasiliens, Saõ Paulo. Jedes mal wenn wir wieder eine solche Gruppe überholen grüssen sie freundlich und strecken den Daumen hoch. Dabei ist ihre Leistung zu Fuss hunderte von Kilometern zu gehen wesentlich höher. Als wir von dem netten Truckfahrer mitgenommen wurden, sahen wir am Strassenrand drei Männer mit einem jungen Hund zu Fuss Richtung Saõ Paulo gehen. Am nächsten Morgen, immerhin rund 50km weiter überholten wir sie per Fahrrad. Keine Ahnung ob, wie und wo die Drei übernachtet haben…

Nach den fast acht Wochen ohne Rad konnten wir uns kaum noch halten. Eigentlich wollten wir gar nicht so weit fahren, aber wir kamen so schön voran und nach knapp 130km trafen wir in Itariri ein. Wir hätten durchaus noch die letzten 30km bis nach Peruibe auf uns nehmen können und damit unseren eigenen Rekord (145km) brechen können, hätte es nicht mal wieder das uns mittlerweile so vertraute “PFFFFFFT…” gemacht! Milena durfte endlich mal wieder fluchen und sie liess wirklich alles raus…

IMG_5255

Nach der Abzweigung waren wir froh, endlich von der Autobahn zu kommen und nur 100m weiter wollten wir sie wieder zurück haben. Die Autos rasen hier nämlich noch viel schlimmer als auf der Autobahn und dank fehlendem Seitenstreifen wurden wir mächtig abgedrängt. Wir versuchten sogar das hupen eines Lastwagens zu ignorieren, denn irgendwie sehen wir nicht ein weshalb wir verduften sollen wenn er ja ausweichen könnte. Natürlich raste er ungebremst weiter und wir konnten in letzter Sekunde noch in die Wiese flüchten. Aus gesundheitlichen Gründen werden wir das aber bestimmt nie wieder tun! Die Brasilianer sind bis jetzt die verrücktesten Autofahrer, mit ausgeschaltetem Hirn rasen sie wie möchte-gern Ayerton Sennas!

Sofern sie aber nicht gerade im Auto oder LKW sitzen, sind die Menschen hier wirklich sehr nett und lebensfreudig. Wir fühlen uns wie nach Kolumbien zurückversetzt. Auch sie lassen ihren Gefühlen freien Lauf.  Ob am Strand oder im Supermarkt, es wird gejohlt und gefeiert. Das gilt vor allem, wenn sie uns sehen. Hupend und schreiend flitzen sie an uns vorbei, bremsen uns auf dem Pannenstreifen aus für ein gemeinsames Foto oder halten gar mit dem Auto neben uns…auf der Autobahn versteht sich…! Wir fühlen uns sehr willkommen und da die Brasilianer selbst offenbar einen grossen Freiheitsdrang haben, zeigt man uns auch grossen Respekt vor dem was wir tun.

IMG_6170

Brasilien ist auch das erste Land, dass alle Klischees erfüllt. Knackige Frauenpo’s und Männer mit Waschbrettbauch und Surfbrett unter dem Arm trifft man am Strand. Kokosnüsse, Bananen und andere exotischen Früchte bekommt man am Strassenrand und dann die Traumstrände. Einzig die Sonne fehlt, stattdessen regnet es fast ununterbrochen. Das mag wohl daran liegen, dass Milena’s Schutzblech beim letzten Bustransport kaputt ging und sie jetzt keines mehr hat. So wie wenn wir etwas zu Essen suchen und nichts finden, wir aber keinen Hunger haben ein Restaurant am anderen finden. Oder wenn wir eine Apotheke suchen wir ganz bestimmt zwei Stunden suchen müssen obwohl wir im Ort vorher hunderte von Apotheken sahen. Am schlimmsten ist die Sachen mit den Regenkleidern. Zieht man sie nicht an, dann regnet es in Strömen. Zieht man sie an, dann hört er auf und es wird warm. Was wir uns hier ständig aus und ab ziehen… Dieses Spielchen treibt brasiliens Wetter mit uns übrigens seit vier Tagen…

In Itariri übernachteten wir, schliefen etwas aus und fuhren weiter nach Peruibe. Kurz vor Peruibe bekamen wir wieder einen wunderbar breiten Seitenstreifen und wir konnten die Fahrt durch die unendlich weiten und schön grünen Bananenplantagen geniessen. Zumindest bis es wieder regnete…

IMG_6160

Eigentlich hatten wir unsere Ankunft am Atlantik folgendermassen vorgestellt: Wir kommen an, lehnen unsere Fahrräder an eine Palme und rennen dann a là Baywatch in das türkisblaue Meer. Danach schlürfen wir Kokosnussmilch und wälzen uns in der Sonne. Und so kam es: In strömendem Regen (er wurde natürlich stärker, weil wir unsere Regenklamotten aus Trotz nicht angezogen hatten) kamen wir am Atlantik an, stellten unsere Räder einigermassen trocken unter, kauften uns einen heissen Maiskolben und beobachteten die harten Brasilianer, welche in der übel aussehenden braunen Brühe tatsächlich badeten. Naja, eine Reise wird erst spannend, wenn es eben nicht so läuft wie man es sich vorgestellt hat. Bei Platzregen suchten wir uns eine Unterkunft, welche bezahlbar und vor allem dank der Feiertage hier nicht ausgebucht ist und dann schliefen wir den ganzen Nachmittag. Der Regen hörte nicht mehr auf und zwar bis zum nächsten Tag. Ach so, darum ist es hier so schön grün…

Nachdem wir unsere Regenklamotten angezogen hatten, schonte es zum ersten Mal. Ha, dann nichts wie los! Zum Glück bekamen wir wieder eine Autobahn mit breitem Seitenstreifen. Das sollte aber nur noch bis Santos so sein. Danach müsste es anscheinend ruhiger werden, weil wir da zur Küstenstrasse abbiegen und die geht kurvenreich und steigungsstark (beides mögen Truckfahrer überhaupt nicht) Richtung Rio de Janeiro. Die Trucks gehen da also weiter über die Autobahn und wir sind sie hoffentlich los. Nicht dass ihr denkt wir spinnen hier auf den Autobahnen herum zu kurven. Wir sind unterwegs zu einem der schönsten Flecken Brasiliens, der Costa Verde (grüne Küste).

Nach gut 100km trafen wir in Santos und brachen einen ganz anderen Rekord, nämlich den der Unterkunft-Suche. Satte zweieinhalb Stunden fuhren wir umher und dabei fanden wir nur zwei Hotels mit abartig hohen Preisen. Ehrlich gesagt waren wir mit Santos etwas überfordert, denn mit einer Grossstadt wie Panama-City hatten wir eigentlich nicht gerechnet. Aber die Grossstadt mit sauberem, weissem Sandstrand und Wolkenkratzern im Hintergrund hat schon etwas sehr schönes an sich.

IMG_6173    IMG_5266

So fuhren wir etwas wahllos zwischen den Wolkenkratzern umher. Plötzlich hielt ein Auto neben uns und eine Frau rief: “Woher kommt ihr?” “Aus der Schweiz.” Daraufhin lachte sie und meinte: “Mein Nachname ist Schweizer!” Frau Schweizer konnte Portugiesisch und Englisch und sie brachte uns zu Hotel Nummer drei. Das wäre super (und sogar bezahlbar) gewesen, doch natürlich ausgebucht. So suchten wir weiter, im Regen natürlich. Dann fanden wir eine Touristeninformation und die sehr nette Dame gab uns eine zweiseitige Liste mit einigermassen günstigen Posadas (Unterkünfte bei Privatfamilien). Und siehe da, plötzlich hatten wir an einer Strasse satte fünf Posadas auf einmal. Da konnten wir sogar noch heikel tun und auswählen. Nun sind wir bei einer sehr netten Dame, die sogar noch Milena’s Taschen reinigte. Ja, das blöde Schutzblech…

Um nach Bertioga zu gelangen, mussten wir zweimal mit einer kostenlosen Fähre übersetzen. Dazwischen ging es leicht hügelig durch schönen Urwald. Der regen, welcher uns nun seit fünf Tagen begleitet erreichte seinen Höhepunkt. Es regnet in strömen und zwar ohne auch nur eine Sekunde zu unterbrechen. Unsere Regenkleider, sowie Milena’s Gore-Tex (!) Schuhe hielten dem Regen nicht mehr stand und wir wurden bis auf die Unterwäsche durchnässt. So machte das Radeln wenig Spass und wir suchten immer einen Grund irgendwo unter zu kommen. Hier ein Sandwich, da einen Kaffee. Wir lernten dann zwei nette Männer kennen und wenn sie ganz langsam und deutlich sprechen verstehen wir sogar mittlerweile etwas Portugiesisch. Sie meinten, es regnet noch die ganze Woche so durch. Wenn das aber so ist, dann gibt es garantiert Überschwemmungen. Irgendwie ist es für uns etwas deprimierend, denn die Traumstrände mit den Palmen und dem kitschig grünen, undurchdringlichen Dschungel scheinen im Regen nur wenig attraktiv. Wäre es wenigstens warm, dann könnten wir in den Badehosen radeln, aber es ist auch noch ziemlich kalt hier. Wir hoffen schwer, dass wir noch wenigstens einen sonnigen Tag erwischen werden.

IMG_6202      IMG_6199

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen